Gemeinsame Erklärung
Was ist eine Schwangerschaft in der Selbstständigkeit? Ein unkalkulierbares, wirtschaftliches Risiko. Das klingt aus der Zeit gefallen, entspricht aber leider noch immer der Realität.
Unser Bündnis für den Mutterschutz für Selbstständige ist ein Zusammenschluss aus Verbänden, Kammern, Vereinen und Personen aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, den Mutterschutz und die gute Vereinbarkeit von Elternschaft und Selbstständigkeit zu erreichen.
Gemeinsame Erklärung für den Mutterschutz für Selbstständige
Frauen sind laut dem Mikrozensus von 2021 mit rund 33,2 % in der Selbstständigkeit unterrepräsentiert. Wirtschaftliche Potentiale bleiben bei dieser geringen Quote ungenutzt. Genderbezogene Rollenzuschreibungen sind nach wie vor sehr präsent, weshalb vor allem Frauen zögern, in die Selbstständigkeit zu gehen. Ergänzend zu einem gesellschaftlichen Wandel braucht es aber auch handfeste strukturelle Veränderungen, die auf politischer Ebene zu lösen sind.
Der Mutterschutz für Selbstständige ist mit Blick auf den Gesundheitsschutz der Schwangeren und des (ungeborenen) Kindes elementar. Zusätzlich bietet er einen starken Hebel für eine erfolgreiche weibliche Unternehmensnachfolge und Gründungskultur. Er ist ein zentraler Baustein für die Chancengerechtigkeit in der Selbstständigkeit und leistet außerdem einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung von Art. 3 Abs. 2 GG („Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“) und Art. 6 Abs. 4 GG („Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.“).
Eine Umfrage des Mutterschutzes für Alle! e. V. aus dem Jahr 2023 mit über 1600 Teilnehmenden ergab, dass die unzureichende Absicherung einer Schwangerschaft in der Selbstständigkeit weitreichenden Einfluss auf die Entscheidung zur Firmen- und/oder Familiengründung hat.
- Jede 4. Befragte könnte sich vorstellen, in die Selbstständigkeit zu gehen, zögert aber aufgrund der aktuellen Mutterschutzregelungen.
- 13,5 % der selbstständigen Personen gaben an, aufgrund ihres Kinderwunsches ihre Selbstständigkeit aufgeben zu wollen.
- 35 % der selbstständigen Mütter gaben an, aufgrund der Erfahrung der Schwangerschaft in der Selbstständigkeit auf ihren weiteren Kinderwunsch zu verzichten.
Das Kranken(tage)geld ist für Selbstständige die einzige Möglichkeit, die persönlichen Lebenshaltungskosten in der Zeit der Schwangerschaft und im Mutterschutz abzusichern, jedoch aufgrund zahlreicher Ausschlusskriterien kein geeignetes Instrument dafür. Fälle, in denen eine Schwangere ihre Tätigkeit einschränken oder unterbrechen muss, weil die Arbeitsbedingungen ein unverantwortbares Gesundheitsrisiko darstellen, werden von Betriebskosten- und Ausfallversicherungen genauso wenig abgedeckt wie die Zeiten des Mutterschutzes vor und nach der Geburt. Teilweise sind sogar schwangerschaftsbedingte Krankschreibungen explizit vom Leistungsspektrum ausgeschlossen. Das Risiko einer Schwangerschaft ist so unkalkulierbar. Schwangere Selbstständige bezahlen ihren Kinderwunsch oft mit viel Geld, welches wiederum im Betrieb und bei der Altersvorsorge fehlt und schlimmstenfalls zu einer Insolvenz führt.
Der geringe Frauenanteil bei den Inhaber*innen und Geschäftsführer*innen in exemplarischen Branchen unterstreicht die Problematik der fehlenden Absicherung in Zeiten des Fachkräftemangels. So liegt laut des Zentralverbands des Deutschen Handwerks der Anteil weiblich geführter Unternehmen unter den knapp 600.000 Handwerksbetrieben bei 25 %. Der Schutzbedarf ist gerade im Handwerk und in Branchen mit einer physisch belastenden Tätigkeit besonders hoch. Hier liegt das gesundheitliche Risiko vieler Arbeiten auf der Hand. Das Spektrum der selbstständigen Erwerbstätigkeit ist jedoch von großer Vielfalt geprägt und nicht überall ist der Schutzbedarf so deutlich sichtbar. Es umfasst Soloselbstständige genauso wie nebenerwerblich Selbstständige, freiberufliche Tätigkeiten und die Geschäftsführung von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Diese Vielfalt muss bei einer politischen Lösung mitgedacht werden. Nur so wird der zukünftige Mutterschutz der Lebensrealität der selbstständigen Schwangeren gerecht.
Die Vermeidung von gesundheitlich gefährdenden Tätigkeiten im gesamten Verlauf der Schwangerschaft und direkt nach der Geburt muss bei jeder Erwerbsform und in allen Branchen möglich sein – ohne existenzielle finanzielle Benachteiligung. Pauschale Arbeitsverbote sind beim Mutterschutz für Selbstständige weder sinnvoll noch seitens der Betroffenen erwünscht. Es müssen Maßnahmen entwickelt werden, mit denen die Schwangeren und deren Betriebe so handlungsfähig wie möglich bleiben. Zum Beispiel kann die Bereitstellung oder Kostenübernahme einer Betriebshilfe für selbstständige Schwangere eine Lösung sein. Die Ausführung der praktischen Tätigkeiten durch eine Vertretungskraft würde gleichermaßen die persönliche Einkommensabsicherung sowie die betriebliche Handlungsfähigkeit sicherstellen. Wo dies keine Hilfe ist, muss auf andere Art die Entscheidungsmöglichkeit, zum Wohle der eigenen Gesundheit zu pausieren, geschaffen werden.
Zielsetzung
Die folgende Zielsetzung ist eine Absichtserklärung der Unterzeichnenden, sich im Rahmen der eigenen Ressourcen und Möglichkeiten für eine bessere Vereinbarkeit in der Selbstständigkeit einzusetzen. Gleichermaßen ist sie als Handlungsaufforderung an die Politik zu verstehen.
Der Mutterschutz für Selbstständige muss gesetzlich verankert werden.
Unsere Forderungen zur Absicherung werdender Mütter fußen auf drei Säulen:
- Einkommensabsicherung in der Schwangerschaft vor und nach der Geburt
- Verbesserungen und Vereinfachungen im Elterngeld
- Absicherungsmöglichkeiten und Maßnahmen für den Betrieb
1.
Sofern die betrieblichen Arbeitsbedingungen für die Gesundheit der schwangeren Selbstständigen oder ihres ungeborenen Kindes eine Gefährdung darstellen, müssen Selbstständige ab Beginn der Schwangerschaft eine Einkommensabsicherung erhalten, entsprechend dem Mutterschutzlohn bei einem betrieblichen Beschäftigungsverbot für angestellte Beschäftigte.
2.
Arbeitsplatzvoraussetzungen, die die Gesundheit der Schwangeren gefährden sowie Schwangerschaftssymptome, die die Arbeitsfähigkeit der werdenden Mutter beeinträchtigen, dürfen sich nicht mindernd auf Mutterschaftsleistungen und Elterngeld auswirken. Es sollte mehr Flexibilität bei dem Bemessungszeitraum für Mutterschaftsleistungen und Elterngeld bei Selbstständigen geben. Zudem sollte ein Hinzuverdienst während des Leistungsbezugs möglich sein, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Bei der Berechnung der Einkommensersatzleistung ist die besondere Einkommenssituation von Personen in Gründung zu berücksichtigen.
3.
Lösungen für branchenspezifische Bedarfe an den Mutterschutz für Selbstständige müssen weiterentwickelt werden, wie z. B. der Aufbau eines Systems von Betriebshilfen im Handwerk, Vertretungskräften in der Gesundheitsbranche, Absicherungssystemen für ungedeckte Betriebskosten, Lösungen für soloselbstständige Kunst- und Kulturschaffende, deren Arbeitskraft nicht ersetzbar ist, usw.
4.
Mutterschaftsleistungen für selbstständige Schwangere müssen solidarisch finanziert werden, z. B. über die Ausweitung der Umlage für Angestellte (U2) auf Selbstständige. Für das Auffangen schwangerschaftsbedingt insolvenzgefährdeter Betriebe könnten Steuermittel zur Verfügung gestellt werden.
5.
Das Versicherungsvertragsgesetz muss geändert werden. Versicherungen, die Krankheiten, Einkommensausfall und Betriebskosten absichern, müssen obligatorisch auch den erforderlichen Schutz im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft sowie schwangerschaftsbedingte Ausfallzeiten und die Zeit des Mutterschutzes abdecken.
6.
Versicherungen müssen verpflichtend informieren, welche Regelungen bezüglich Schwangerschaft und Mutterschutz gelten. Frühzeitige, umfassende Informations- und Beratungsangebote mit dem Fokus auf Selbstständigkeit und Elternschaft müssen eingerichtet werden.
7.
Kinderbetreuungskosten müssen für alle Eltern im erforderlichen Umfang steuerlich berücksichtigt werden.